Wir müssen beginnen „Digital“ als Material zu begreifen – Interview mit Stan Bühne
Was haben Dieter Rams, James Dyson und Luigi Colani gemeinsam? Alle drei sind bekannte Industriedesigner, prägten die Gestalt der Konsum- und Investitionsgüter ihrer Zeit. Industrial Design – das war im 20. Jahrhundert. Inzwischen leben wir im digitalen Zeitalter, Algorithmen und Daten prägen unsere Welt. Das Design neuer Schule ist digital – Digital Design. Doch was macht einen Digital Designer aus? Was grenzt ihn zu bekannten Berufsbildern wie Business Analyst oder Human-Machine-Interface Experten ab?
Diese und weitere Fragen besprachen wir mit Stan Bühne, stellvertretender Geschäftsführer der IREB GmbH.
Hallo Stan Bühne: Digital Design – Was kann ich unter dieser eingängigen Alliteration verstehen?
Mit Digital Design wollen wir ein neues Berufsbild etablieren. Digital Design zielt auf die Gestaltung digitaler Lösungen. Allerdings unter der Berücksichtigung technischer Möglichkeiten, wirtschaftlicher Aspekte und nicht zuletzt der zukünftigen Bedürfnisse der Menschen die diese Lösung nutzen. Die Alliteration „Digital Design“ soll hierbei noch mal verdeutlichen, dass wir beginnen müssen „Digital“ als Material zu begreifen, mit dem wir arbeiten um digitale Lösungen zu designen d.h. sie zu gestalten.
„Wir müssen beginnen „Digital“ als Material zu begreifen, mit dem wir arbeiten um digitale Lösungen zu designen.“
Laut der offiziellen Webseite ist Digital Design ein Beruf. Wie und wo kann ich diesen erlernen?
Genau, Digital Design ist aus unserer Perspektive und der des Bitkom ein Beruf, der in der Gesellschaft verankert und entwickelt werden muss, analog zu dem der Architektur im Bauwesen. Vom IREB gehen wir einen ersten Schritt in diese Richtung und legen mit unserem Zertifizierungsprogramm „Digital Design Professional“ einen grundlegendes Fundament für dieses Berufsbild (wo wir schon wieder in der Analogie zum Bauwesen sind). In unserem Lehrplan zum Digital Design Professional definieren wir die Kompetenzen, die ein Digital Designer benötigt um gute digitale Lösungen zu gestalten und zu bauen.
Es gibt heute bereits Business Analysten, Human-Machine-Interface Experten und Systemingenieure und – was macht ein Digital Design Professional anders als diese etablierten Akteure?
Der Digital Design Professional (oder kurz DDP), setzt dort an, wo viele der heutigen Rollen aufhören – Ganzheitlichkeit und Ende-zu-Ende Verantwortung für die digitale Lösung! Ein wichtiger Unterschied, an dem wir festhalten ist, dass der DDP keine weitere Rolle in einem Digitalisierungsvorhaben ist. Er ersetzt also keinen PO, UXler, REler oder SW-Architekten. Im Gegenteil – der DDP ist ein idealer Einstiegspunkt für diese heutigen Rollen um ihr Kompetenz-Set gezielt zu erweitern. Digital Designer:innen benötigen Kompetenzen in folgenden Bereichen.
Am Ende wird es weiterhin organisations- oder projektspezifische Rollen, wie bspw. die eines PO oder UX-Designers geben – wenn diese allerdings von einer Person bekleidet wird, die die DDP-Kompetenzen vereint, wird sie ihre Rolle mit einer anderen Wahrnehmung ausfüllen und die digitale Lösung möglichst Ende-zu-Ende denken.
„Der Digital Design Professional, setzt dort an, wo viele der heutigen Rollen aufhören – Ganzheitlichkeit und Ende-zu-Ende Verantwortung für die digitale Lösung!“
Hinter dem Digital Design Professional steckt das International Requirements Engineering Board (IREB). Fängt der Digitale Designer dort an, wo der Anforderungsingenieur aufhört?
Das würde ich so nicht sagen. Der heutige Requirements Engineer nach CPRE hat bereits sehr umfangreiche Kompetenzen, wenn es um analytische Fähigkeiten geht. Viele der heutigen Requirements Engineers haben durch Ihre Arbeit auch heute bereits gute transdisziplinäre Kompetenzen mit den ganz unterschiedlichen Stakeholdern aus verschiedenen Fachbereichen.
Bei größeren Digitalisierungsvorhaben speziell dort wo neue Geschäftsfelder erschlossen werden die durch Technologie erst möglich werden bzw. wo die eigentlichen Stakeholder noch gar nicht bekannt sind, brauchen wir allerdings zusätzliche Kompetenzen. Vor allem hier sehen wir Bedarf am Digital Design Professional. Wie bereits erwähnt, hat ein Requirements Engineer sicherlich eine sehr gute Basisvoraussetzung um sich in diese Richtung weiterzubilden und zu entwickeln oder Teil des (Umsetzungs-)Teams zu werden.
Als Digital Design Professional besitze ich Kompetenzen in Geschäftsmodellen, Design, Technologie und Menschenführung – kann ich das alles in einer Person vereinen oder ist hier automatisch Teamarbeit gefragt?
Ein DDP kann nicht alles allein leisten genauso wenig, wie ein Architekt jedes Gewerk selber erbringen kann – so viel ist klar. Ein DDP ist mehr derjenige der die digitale Lösung als Ganzes sieht und versteht und sich für bestimmte Tätigkeiten gezielt Experten dazu nimmt – dies können UX-Designer, Interaktionsdesigner, Prozessexperten oder auch Software-Architekten sein.
Eine wesentliche Aufgabe des DDP ist also auch die Stärken der beteiligten zu (er)kennen und diese gezielt einzusetzen, um zum gewünschten Ergebnis zu bekommen – aus diesem Grunde ist das Thema People Management als Cross-Cutting Kompetenz auch in unseren Lehrplan eingeflossen.
„Ein Digital Design Professional ist mehr derjenige der die digitale Lösung als Ganzes sieht und versteht und sich für bestimmte Tätigkeiten gezielt Experten dazu nimmt.“
Bei den meisten digitalen Lösungen übersteigt die Nutzungszeit die Entwicklungszeit um ein Vielfaches. Welche Rolle übernimmt das Digital Design in der Betriebsphase?
Das Digital Design umfasst bewusst auch den Entwicklungs- und Betriebsschritt. Bei heutigen digitalen Lösungen ist es eher selten der Fall, dass ein Produkt gebaut wird, welches dann unverändert für die nächsten Dekaden genutzt wird. Komplexe Lösungen im digitalen Umfeld werden ja schrittweise weiterentwickelt – weil sich eben auch der Kontext und der Nutzer weiterentwickeln.
In welche Rolle diese Aufgaben übergehen, hängt sicherlich ein wenig von der Organisationsform ab – aber im Grunde wäre dies ein Produktverantwortlicher wie bspw. ein Product Owner oder Produktmanager, der das Produkt begleitet, bis es de-kommissioniert und womöglich durch einen andere digitale Lösung abgelöst wird.
Letzte Frage: Wenn Sie ein Buch für das Design digitaler Lösungen empfehlen würden: Welches sollte es sein?
Wie Sie im Interview bereits gemerkt haben, ist das Thema Digital Design sehr breit, sodass es heute noch nicht das Buch gibt, welches alle Facetten und Kompetenzen des Digital Design umfassend beleuchtet. Aber wer Interesse an bestimmten Themen und Kompetenzen hat findet in unserem Lehrplan einige Referenzen zu von Büchern und Artikeln.
Aber es gibt bereits ein kleines Licht am Horizont – Ende Mai werden wir unser Handbuch zum Digital Design Professional veröffentlichen, welches wir kostenlos zum Download auf unserer Webseite anbieten werden – falls Sie also Interesse haben, melden Sie sich gern zu unserem Newsletter an.
Das Interview mit Stan Bühne führte Christopher Schulz per E-Mail am 20. April 2021.
Zur Person Stan Bühne
Stan Bühne
Stellvertretender Geschäftsführer der IREB GmbH
Stan Bühne ist stellvertretender Geschäftsführer der IREB GmbH und verantwortet dort das neue Geschäftsfeld Digital Design. Zuvor arbeitete er 15 Jahre in der IT-Beratung, wo er umfangreiche Erfahrungen in Digitalisierungsprojekten in der Telekommunikationsbranche gewinnen konnte.
The Digital Design Professional (Lesetipp von Stan Bühne)
Booklet | Karlsruhe 2021 | 8 Seiten | www.digitaldesign.org/syllabus
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