EAM schlägt die Brücke zwischen Strategie und betrieblichem Handeln – Interview mit Dr. Daniel Simon
Ziel-Bebauung. Transformation Roadmap. Enterprise Continuum. Klingt das für Sie auch ziemlich abstrakt, theoretisch trocken und weit entfernt von der praktischen Realität Ihres Unternehmens? Tatsächlich handelt es sich bei allen drei Begriffen um wichtige Konzepte des Enterprise Architecture Managements (EAM). EAM baut Brücken – zwischen Strategie und Betrieb, Business und IT, der Gegenwart und Zukunft. Doch wie lässt sich EAM konkret kommunizieren? Und warum ist gerade die Business Architektur so wichtig?
Diese und weitere Fragen besprachen wir mit Dr. Daniel Simon, seit über 10 Jahren Berater für Enterprise Architecture Management und Business Story Telling.
Hallo Daniel: Damit wir unser Gespräch mit einem gleichen Begriffsverständnis starten – was ist für Dich Enterprise Architecture Management (EAM) und wo hilft Unternehmen diese Disziplin?
EAM ist für mich eine Disziplin, die die Brücke schlägt zwischen Strategie und betrieblichem Handeln und dabei stets das große Ganze im Blick hat. Oft wird ja zur Erläuterung die Metapher der Stadtplanung herangezogen. Es gibt jedoch auch eine weniger geläufigere, die sich sehr schön zur Veranschaulichung nutzen lässt: das aus den 1980er Jahren bekannte Spiel ‚Tetris‘.
Neue Bausteine sinnvoll in bestehende Strukturen einbetten, die Anzahl bzw. die Vielfalt der insgesamt genutzten Bausteine beherrschbar halten und vorausschauend den zukünftigen Bedarf an Bausteinen planen – das ist Kern dessen, was EAM in der Praxis typischerweise ausmacht. Nicht zuletzt im Rahmen größerer Transformationen schafft EAM damit die notwendige Orientierung und hilft ganz wesentlich dabei, Silodenken aufzubrechen und langfristig tragfähige Lösungen zu entwickeln.
„EAM ist für mich eine Disziplin, die die Brücke schlägt zwischen Strategie und betrieblichem Handeln und dabei stets das große Ganze im Blick hat.“
Seit weit über 10 Jahren begleitest Du Kunden im EAM. Was reizt Dich an Projekten rund um die (Weiter-)Entwicklung der Unternehmensarchitektur?
Da lassen sich zwei Kategorien unterscheiden. Bei Projekten, die den Aufbau oder die Weiterentwicklung von EAM zum Ziel haben, ist es die Möglichkeit, dabei mitzuwirken, einen für die Organisation passenden EAM-Ansatz auszuarbeiten und zu etablieren. Das ist eine spannende Gestaltungsaufgabe.
Bei Projekten, die die Umsetzung typischer EAM-Aufgaben wie einer Bebauungsplanung und somit die eigentliche Arbeit an der Unternehmensarchitektur zum Gegenstand haben, liegt der Reiz vor allem darin, dass sie sehr facettenreich sind. Man bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Strategie und Umsetzung, befasst sich mit vielfältigen Fragestellungen, die sich von fachlichen bis hin zu technologischen Aspekten erstrecken, und behält dabei immer das große Ganze im Blick. Da kann man in der Regel auch selbst einiges mitnehmen und sein Domänenwissen ausbauen.
Mit Deinem Unternehmen ACROSS & AHEAD hast Du Dich auf die Business Architecture einer Organisation spezialisiert. Was sind typische Fragestellungen und Besonderheiten in der Geschäftsarchitektur?
Zu den typischen Fragestellungen, zu deren Beantwortung die Geschäftsarchitektur herangezogen wird, gehören z.B. die folgenden:
- Welche Auswirkungen hätte es bzw. was müsste verändert werden, wenn wir uns für die Strategie entscheiden, die aktuell zur Debatte steht?
- Welche Fähigkeiten müssen wir entwickeln, um unser neues Geschäftsmodell umzusetzen?
- Wie soll ausgehend von der neuen Strategie unser zukünftiges ‚Operating Model‘ aussehen?
Entscheidend ist, dass die Betrachtung hier rein fachlich geprägt ist. Von technologischen Details wird auf der Ebene der Geschäftsarchitektur abstrahiert. Speziell bei strategischen Vorhaben, die einen größeren Teil der Organisation betreffen bzw. sich gar über die Organisationsgrenzen hinaus erstrecken (wie z.B. in einem M&A-Kontext), nimmt die Geschäftsarchitektur in der Regel eine ganz wesentliche Rolle ein.
„Erklären, vermitteln, überzeugen und verkaufen – ohne Frage macht das einen maßgeblichen Teil dessen aus, was ein Unternehmensarchitekt täglich zu meistern hat.“
Angenommenen ich bin frischgebackener Enterprise Architect. Welche Fähigkeit sollte ich direkt zu Beginn auf- bzw. ausbauen?
Es ist sicher sinnvoll, sich zügig ein gewisses methodisches Rüstzeug anzueignen, z.B. zu Themen der Bebauungsplanung oder Modellierung. Dabei nicht zu vergessen ist natürlich der Bereich der Geschäftsarchitektur.
Darüber hinaus empfiehlt es sich, frühzeitig ein besonderes Augenmerk auf die ‚Soft Skills‘ des Unternehmensarchitekten zu legen, speziell die Kommunikations- und Moderationsfähigkeiten. Letztlich sind es diese, die darüber entscheiden, welche Wirkung ich in meiner Rolle als Enterprise Architect in der Organisation erzielen kann. Erklären, vermitteln, überzeugen und verkaufen – ohne Frage macht das einen maßgeblichen Teil dessen aus, was ein Unternehmensarchitekt täglich zu meistern hat.
Ein zweiter Schwerpunkt Deiner Firma ist das Business Story Telling. Beim EAM geht es um harte Zahlen, Daten und Fakten. Wie passt das Erzählen von Geschichten da rein?
Storytelling passt da sehr gut hinein. Im Wesentlichen knüpft das an dem an, was ich gerade zuvor thematisiert habe. Visionen, Zielarchitekturen, Capability Map, Architekturprinzipien – all das mag für manch einen Stakeholder erst mal recht abstrakt erscheinen bzw. von der eigenen täglichen Praxis doch ein Stück weit entfernt sein.
Um denjenigen trotzdem mitnehmen zu können und dafür zu sorgen, dass Botschaften wirklich hängen bleiben, sind Ansätze gefragt, die es erlauben, die Dinge für den Zuhörer anschaulicher und einprägsamer zu machen. Und genau da kommt das Storytelling ins Spiel.
Verpacke ich beispielsweise die sagen wir zehn Architekturprinzipien des Unternehmens in einer kleinen Geschichte zu einem Sportereignis oder etwas Ähnlichem, hat das sicher eine ganz andere Wirkung als eine klassische, rein sachliche Präsentation der Prinzipien.
„In der Vergangenheit ist die weitere Relevanz von EAM immer mal wieder in Frage gestellt worden, nicht zuletzt im Zuge der zunehmenden Popularität agiler Entwicklungs- und Organisationsansätze.“
Künstliche Intelligenz. Software as a Service. Skalierte agile Entwicklung. New Work. Die Unternehmenswelt ist in Bewegung. Welche Entwicklung siehst Du für EAM voraus?
In der Vergangenheit ist die Relevanz von EAM immer mal wieder in Frage gestellt worden, nicht zuletzt im Zuge der zunehmenden Popularität agiler Entwicklungs- und Organisationsansätze. De facto jedoch hat EAM eher an Bedeutung gewonnen, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass diese Entwicklung bei der aktuellen Dynamik und einer zunehmenden Vielfalt an Themen weiter voranschreiten wird.
EAM wird sich dafür jedoch weiter für andere methodische Ansätze öffnen und eine deutlich stärkere Verzahnung und Durchdringung in der Unternehmenspraxis erfahren müssen – mit einer Vielzahl an Akteuren, die über ein Architektur-Mindset verfügen und dieses aktiv einsetzen. Dann kann es auch gelingen, dass EAM dorthin vordringt, wo es eigentlich hingehört: an das Einfallstor für neue Themen. Denn was eine erste inhaltliche Verortung und Strukturierung eines Themas angeht: Was, wenn nicht EAM, sollte dafür prädestiniert sein?
Letzte Frage: Wenn Du ein Buch für EAM empfehlen könntest: Welches sollte es sein?
Empfehlenswert sind da sicher eine ganze Reihe von Büchern, aber wenn es tatsächlich nur eins sein soll, würde ich dem interessierten Leser mal ein etwas anderes Werk ans Herz legen: recrEAtion: Realizing the Extraordinary Contribution of Your Enterprise Architects von Chris Potts. Es ist de facto ein Roman und erzählt die Geschichte von Simon, der sich in seiner neuen Rolle als Vice President of Enterprise Architecture auf eine interessante Reise durch die Weiten des Enterprise Architecture Managements begibt…
Das Interview mit Dr. Daniel Simon führte Christopher Schulz per E-Mail am 12. März 2021.
Zur Person Dr. Daniel Simon
Dr. Daniel Simon
Unternehmer und Berater für Enterprise Architecture Management und Business Story Telling
Dr. Daniel Simon ist Gründer und Geschäftsführer der ACROSS & AHEAD Advisory GmbH. Organisationen auf ihren Design- und Transformationswegen zu begleiten und Orientierungshilfe zu leisten, darin liegt seine Passion. Er ist seit vielen Jahren als Berater und Trainer schwerpunktmäßig in den Bereichen Enterprise Architecture und Business Architecture tätig.
Seine Promotion erlangte Daniel Simon an der Universität zu Köln. Er ist (Co-)Autor diverser Publikationen in den zuvor genannten Themenbereichen. Zudem hält er regelmäßig Vorträge bei Konferenzen und Veranstaltungen. Er twittert unter @dsimoncgn.
Chris Potts: recrEAtion (Buchtipp von Dr. Daniel Simon)
Realizing the Extraordinary Contribution of Your Enterprise Architects.
Technics Publications | 2010 | 226 Seiten | Print-ISBN: 978-1935504085
Ebenfalls interessant
Die Softwarelizenzen – die wichtigsten Konzepte für das Software Asset Management
Ist Open Source immer kostenlos? Was heißt Copyleft? Das Management von Softwarelizenzen ist kompliziert. Wir zeigen alle zentralen Konzepte.
Die Softwareauswahl – 33 Empfehlungen für die Beschaffung neuer Business Systeme
Wie lässt eine Softwareauswahl effizient, sicher und transparent gestalten? 33 Praxisempfehlungen für die Beschaffung von Kauf-IT-Systemen.