Anforderungsmanagement mit Excel – wann Office zum Requirements Engineering ausreicht
Management Summary
- Regelmäßig stehen Anforderungsmanager, Product Owner und Requirements Engineers vor der Entscheidung entweder Microsoft Excel oder eine professionelle Lösung für das Anforderungsmanagement zu nutzen.
- Die Tabellenkalkulation besitzt im Requirements Engineering Stärken und Schwächen, die es vor Einsatz abzuwiegen gilt.
- Die Entscheidung pro Requirements Engineering mit Excel sollte auf Basis fachlicher, technischer und wirtschaftlicher Anforderungen sowie Rahmenbedingungen erfolgen.
Requirements Engineering mit Excel – wann die Office Lösung im Anforderungsmanagement genügt
Gerade zum Auftakt eines Entwicklungsprojektes erscheint es einleuchtend: Wenn schon alle Microsoft Excel auf dem Rechen haben und mit dem Werkzeug umgehen können, weshalb nutzen wir die Allzweck-Software dann nicht für das Erheben, Dokumentieren, Abstimmen und Verwalten von Anforderungen? Einfach in jeder Zeile eine Anforderung notieren und die Spalten für Attribute wie Titel, Beschreibung, Status oder Quelle verwenden.
Wir haben uns Microsofts Tabellen-Alleskönner für die Aufgaben des Requirements Engineerings näher angesehen. In der Einzelplatzversion kostet Sie das Tool rund 150 Euro. Alternativ können Sie die Software im Rahmen eines Office 365 Abonnements für rund 10 Euro pro Monat beziehen. Anhand einer Pro & Contra Gegenüberstellung erklären wir, ob und wann sich das Tool für Ihr Anforderungsmanagement eignet.
Argumente pro Excel
Hohe Softwarereife
Seit dem 30. September 1985 arbeitet Microsoft emsig an der Weiterentwicklung seines Evergreens. Diese Reife merken Sie der Software an. Ob Client oder Cloud Version – die graphische Benutzerschnittstelle ist durchdacht. Ende 2020 stürzt das Werkzeug kaum noch ab.
Rasche Umsetzungsgeschwindigkeit
Dank seinem hohen Verbreitungsgrad können Sie mit Excel sofort in die Anforderungsarbeit einsteigen. Die beiden essentiellen Faktoren 1) Software und 2) Anwendungswissen sind ab Projektstart verfügbar.
Umfassende Integration
Ob XML, CSV, TXT oder Office Dateien – Excel erlaubt Ihnen den Import und Export von unterschiedlichen Datenformaten. Auch bietet die Lösung mehrere Abfrageschnittstellen zu Datenbanken wie IBM DB2, PostgreSQL oder Sybase. Über zusätzliche Addons können Sie zudem Dateien im Requirements Interchange Format (ReqIF) austauschen.
Umfangreiche Dokumentation
Hohe Verbreitung führt zu umfassender Dokumentation. Das Internet – allen voran Microsoft – bietet umfassende Hilfestellung zu den Funktionen des Tabellen-Tools. Auch für den Einsatz im Anforderungsmanagement finden Sie online Hilfestellung.
Hohe Verbreitung
Ein großer Pluspunkt von Excel – viele in der Geschäftswelt nutzen es, noch mehr habe es und fast alle kennen es. In Folge können Sie Ihr Anforderungs-Excel direkt mit Kollegen, Partnern und Kunden austauschen.
Geringe Lizenzkosten
Auf vielen PCs gehört Excel zur Standardausstattung. Bei Einsatz im Requirements Engineering fallen somit für Sie keine zusätzlichen Softwarelizenzen und Schulungskosten an.
Großer Funktionsumfang
Mächtige Filteroptionen, umfassende Pivot-Tabellen, ausdrucksstarke Diagrammdarstellungen – Excel bietet Ihnen ein schier unerschöpfliches Repertoire an Daten- und Visualisierungsfunktionen. Zudem können Sie individuelle Eigenschaften und Fähigkeiten mittels der Skriptsprache Visual Basic for Applications (VBA) selbst programmieren.
Hohe Flexibilität
Ob Datenstruktur, Programmlogik oder Darstellung – in Microsoft Excel dürfen Sie das Look & Feel Ihre Requirements Engineering Werkzeugs selbst bestimmen und auf Ihre Bedarfe maßschneidern.
Solide Kollaboration
In Excel können mehrere Personen parallel an einer Datei arbeiten. Zwar wurde das Tool ursprünglich für den Solobetrieb konzipiert, inzwischen hat sich Microsofts Kalkulationsstandard mit Office 365 zum praxistauglichen Kollaborationswerkzeug gemausert.
Argumente contra Excel
Fehlende RE-Workflows
Auch für klassische Requirements Engineering Prozesse dient Ihnen Microsofts Lösung lediglich als Baukasten. So müssen Sie Standard-Anforderungsmanagement-Workflows wie Dokumentation, Schätzung, Priorisierung oder Review selbst programmieren.
Fehlende RE-Funktionen
Requirements Baselining, Konfiguration und Qualitätsprüfung von Haus aus? Nicht mit Excel! Auch agile Konzepte wie Kanban Board, Product Backlog oder Burn Down Chart benötigen zuvor Ihre Implementierungsleistung. Das bereitet natürlich Aufwand und kostet Zeit.
Begrenzte Skalierbarkeit
In einem Excel Arbeitsblatt vermischen Sie die Daten-, Funktions- und Anzeigeebene. Bei wenigen Anforderungen ist dies vorteilhaft, erhalten Sie als Nutzer bequem immer das, was Sie auch direkt anzeigen bzw. eingeben. Gleichzeitig können Sie aber auch immer auf allen drei Ebenen ändern, was ab einer dreistelligen Zahl von Anforderungen schnell zu Fehlern führt.
Keine Modellierungssprachen
Microsofts Vorzeige-Tool ist ein Tabellenkalkulationsprogramm, kein Modellierungswerkzeug. In Konsequenz werden typische Requirements Engineering Modellsprachen wie Unified Modeling Language (UML), Systems Modeling Language (SysML) oder Business Process Model and Notation (BPMN) nicht unterstützt. Kleines Trostpflaster: Abbildungen von Modellen und Diagrammen können Sie als Bilddatei in einem Arbeitsblatt ablegen.
Schlechte Nachverfolgbarkeit
Excel ist definitiv kein Meister darin Beziehungen zwischen Anforderungen bzw. zwischen Anforderungen sowie vor- und nachgelagerten Entwicklungsartefakten abzubilden. Über Hyperlinks sowie einer ausgetüftelten Arbeitsmappen- und Tabellenstruktur können Sie diese Traceability-Features aufwendig und fehleranfällig nachbilden.
Rudimentäres Rollen-/Rechtemanagement
Das Tool erlaubt Ihnen sowohl eine gesamte Excel-Datei sowie einzelne Zellen über ein Passwort mit einem Lese- bzw. Editierschutz zu versehen. Das ist aber auch schon das Ende der Fahnenstange. Der Office Vertreter bietet keinen weiterführenden Zugriffsschutz.
Eingeschränkte Historisierung
Nachverfolgung und Versionierung von Anforderungen über die Zeit? Fehlanzeige! Auf dem lokalen Rechner gespeichert, merkt sich das Tool keine Zwischenstände Ihrer Anforderungen. Limitierte Historisierung funktioniert nur, falls Sie Ihr Requirements Engineering Excel auf Zusatzlösungen wie SharePoint oder OneDrive ablegen. Diese kosten zusätzlich Lizenzgebühren und verursachen Administrationsaufwände.
Excel vs. RE Tool – Kriterien für den Wechsel von Tabellenkalkulation auf Anforderungsmanagementwerkzeug
Excel? Oder doch die professionelle Requirements Engineering Lösung? Diese Entscheidung einer Softwareauswahl hängt von Ihrem Anwendungsfall ab.
Microsoft Excel
Nutzen Sie für das Anforderungsmanagement Excel, falls…
- Sie im Requirements Engineering die ersten Schritte machen,
- in Ihren Unternehmen keine professionelle RE-Lösung verfügbar steht,
- Sie planen schnell und günstig ein Minimum Viable Product bzw. einen Prototypen zu entwickeln,
- bisher nicht feststeht, wie Sie mit den Anforderungen weiter verfahren werden oder
- Sie zügig und unkompliziert eine Initialübersicht der Anforderungen benötigen.
Sie verbauen sich damit nicht die Requirements Engineering Zukunft. Die meisten Anforderungsmanagementwerkzeuge bieten eine CSV-Import Schnittstelle inklusive Abbildungslogik mit der Sie Ihr Excel nachträglich überführen können.
Anforderungsmanagent-Tool
Greifen Sie zu einer professionellen Requirements Engineering Lösung, falls….
- Sie jetzt schon mit einer vierstelligen Zahl an Anforderungen hantieren,
- mehrere Personen in verschiedene Anforderungsmanagementaufgaben arbeitsteilig eingebunden sind,
- Sie Ihre Anforderungen zusätzlich zu textuell auch modellbasiert beschreiben möchten,
- es erforderlich ist verschiedene Anforderungsstände zu versionieren oder
- Ihnen bereits ein Requirements Engineering Werkzeug zur Verfügung steht und auch in der Organisation etabliert ist.
Wie ein roter Faden ziehen sich Anforderungen durch ein Entwicklungsprojekt. Achten Sie daher auf die Kompatibilität Ihrer Requirements Engineering Software mit den nachgelagerten IT-Systemen wie dem Development-, Integrations- und Testmanagement.
Fazit
Wir empfehlen: Bevor Sie im Requirements Engineering zu Microsoft Word oder gar PowerPoint greifen, sollten Sie Ihre Anforderung besser in Excel entwickeln und managen. Mit dem ausgereiften Tabellen-Tool lässt sich eine kleine dreistellige Anforderungsmenge solide verwalten.
Soll es umfassender und ausgereifter zugehen, lohnt der Umstieg auf eine professionelle Requirements Engineering Lösung. Schnell steht dann die Frage der Anforderungen an das Anforderungswerkzeug im Raum – wie immer bei einer Softwareauswahl.
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Leseempfehlungen
- Ebert, C.: Werkzeuge für das Requirements Engineering: Industriepraxis und Bewertung, OBJEKTspektrum 02/2016 (zuletzt abgerufen: 15.12.2020)
- May, L.: 5 Gründe, warum Requirements Engineering ein spezielles Tool braucht, MicroTool 08/2017 (zuletzt abgerufen: 15.12.2020)
- Pfingsten, M.: Requirements-Engineering mit Word und Excel, Blogbeitrag 10/2015 (zuletzt abgerufen: 15.12.2020)
- Schenkel, M.: Anforderungen mit oder ohne Excel, t2informatik 03/2018 (zuletzt abgerufen: 15.12.2020)
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Dr. Christopher Schulz
Business Analyst, Enterprise Architect & Projektmanager
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