Etablieren Sie eine aktive Kommunikation zwischen IT und Fachbereichen – Interview mit Ernst Tiemeyer
Amazon, Google, Facebook beweisen es – längst ist die Informationstechnik (IT) ihrer reinen Unterstützerrolle entwachsen. Aus einem Automatisier & Rationalisierer ist ein Enabler & Business Driver geworden. Doch was zeichnet die Transformation der IT aus? Welche Kompetenzen benötigt ein Chief Information Officer in digitalen Zeiten? Und welche technologischen Trends sollten Unternehmen 2021 unbedingt auf dem Radar haben?
Diese und weitere Fragen besprachen wir mit Ernst Tiemeyer, seit über 20 Jahren Autor, Trainer und Berater für Strategisches IT-Management und Digitalisierung.
Hallo Herr Tiemeyer: Mit der Digitalisierung vollzieht sich in vielen IT-Abteilungen ein Wandel. Rationalisierer & Unterstützter war gestern, Enabler & Business Driver ist heute. Nach über 20 Jahren in der Branche – wie nehmen Sie die Transformation wahr?
Im Laufe der Jahre hat sich tatsächlich die Rolle der IT im Unternehmen und damit der Stellenwert der IT stark gewandelt. War die IT zunächst rein für die Rationalisierung von Daten- bzw. Informationsverarbeitungen verantwortlich, leistet sie heute in modern ausgerichteten Unternehmen im Rahmen digitaler Transformationsprozesse einen nicht unerheblichen Wertbeitrag. Festzustellen ist:
- Die IT liefert durch die Bereitstellung von vielfältigen Technologien (Plattformen, Applikationen etc.) wesentliche Impulse für eine Optimierung der Geschäftsprozesse.
- Digitale Technologien und Tools (Cloud, Blockchain, Data Analytics u. a.) ermöglichen neue Geschäftsmodelle für Unternehmen.
Es werden vielfach auch völlig neue digitale Geschäfte, Produkte und Prozesse entwickelt und in vielfältiger Weise erfolgreich umgesetzt. Dadurch kann insbesondere ein höherer Wertbeitrag der IT für das Unternehmen realisiert werden.
„Ein entscheidender Erfolgsfaktor für das Entwickeln einer guten IT-Strategie ist die Zusammenstellung eines strategischen Kompetenzteams.“
Transformation benötigt Strategie. Als Consultant und Digital Strategist haben Sie viele IT-Abteilungen bei der Entwicklung ihrer IT-Strategie begleitet: Worauf kommt es bei einer guten IT-Strategie an?
Ausgehend von der strategischen Positionierung und ggf. einem Assessment zum aktuellen Status bedarf es für die Entwicklung einer guten IT-Strategie in jedem Fall ein kompetentes Entwicklungsteam. Dieses muss unter Nutzung bewährter Methoden wie Zielanalyse und SWOT-Analyse zu zukunftsweisenden Konzepten gelangen.
Wichtig ist darüber hinaus, dass man nicht bei der Konzeptentwicklung stehen bleibt, sondern Wege zur Strategie-Umsetzung aufgezeigt werden. Basierend auf priorisierten Teilstrategien oder strategischen Handlungsfeldern sind dazu Roadmaps zu erarbeiten (etwa zur Umsetzung einer Cloud-, Daten- oder IT-Sourcingstrategie). Aus diesen können dann entsprechende Maßnahmen/Maßnahmenkataloge priorisiert und in einen entsprechenden Masterplan „überführt“ werden.
Ein entscheidender Erfolgsfaktor für das Entwickeln einer guten IT-Strategie ist die Zusammenstellung eines strategischen Kompetenzteams. Wichtig ist, dass hier Personen unterschiedlicher Architektur- und IT-Organisationsbereiche vertreten sind: beispielsweise CIO, IT-Leiter (Head of IT), Strategische IT-Manager (Head of strategic IT), CTO, Enterprise-IT-Architekten, Digital Business Experten sowie IT-Verantwortliche für ausgewählte Bereiche wie Development & Operations oder IT-Servicemanagement. Ggf. bedarf es für dieses Team auch einer gemeinsamen Kompetenzentwicklung zum Themengebiet „Strategisches IT-Management“ oder die Unterstützung durch externe Beratung und Moderation.
Kopf der IT-Abteilung ist der Chief Information Officer, oft auch IT-Leiter genannt. Welche Kompetenzen sollte ich als CIO in digitalen Zeiten auf- und ausbauen?
Im digitalen Zeitalter ist das IT-Management ohne Zweifel vermehrt gefordert, strategisch zu denken und zu handeln. In regelmäßigen Abständen sind dazu ganzheitliche IT-Strategien zu entwickeln bzw. kontinuierlich fortzuschreiben. Dazu sind ergänzende ausgewählte Teilstrategien (etwa IT-Sourcing-Strategien, Service-Strategien, Cloud-Strategien) zu formulieren, die in entsprechende IT-Roadmaps und Masterpläne münden.
Nur auf dieser Basis können zukunftsweisende Entscheidungen für die Ausrichtung der Enterprise-IT-Architekturen sowie für das Agieren in strategischen Handlungsfeldern (z. B. IT-Steuerung, IT-Planung) vereinbart werden. Mit entsprechend dazu ‚aufgebauten‘ Kompetenzen sind CIO bzw. IT-Leitungen darauf vorbereitetet, strategisch tragfähige IT-Konzepte und nachhaltige IT-Lösungen zu entwickeln.
„Die Aktivitäten im IT-Bereich müssen – unabhängig von der Unternehmensgröße – stärker strategisch geplant und daran orientiert konsequent zu einer Umsetzung ‚geführt‘ werden.“
Microsoft, Google, Amazon – die führenden Tech-Firmen kommen in der Regel nicht aus Deutschland. Interpretieren verantwortliche IT-Leiter ihre Rolle immer noch zu stark als Unterstützer?
Bezüglich der Rolle, die IT-Verantwortliche im Unternehmenskontext einnehmen, gibt es doch sehr große Unterschiede. In mittelständischen Unternehmen oder in etablierten Handels- und Produktionsunternehmen ist es sicher so, dass hier der IT-Leiter oft noch sehr auf die Servicerolle als Unterstützer der Fachbereiche eingeengt gesehen wird. Gerade in Unternehmen mit klassischen funktionalen Organisationsstrukturen bieten oft echte Hürden, um auch strategische IT-Themen forciert ‚in Angriff nehmen‘ zu können.
Nichtsdestotrotz ist unbestritten: Die Aktivitäten im IT-Bereich müssen – unabhängig von der Unternehmensgröße – stärker strategisch geplant und daran orientiert konsequent zu einer Umsetzung ‚geführt‘ werden. Dies setzt bei den Verantwortlichen sowohl eine Kenntnis der Anforderungen des Unternehmens an die IT sowie ein Wissen um die aktuellen Business-IT-Trends voraus. Das IT-Management muss aus den entsprechenden Analysen heraus ein tragfähiges Gesamtbild der IT-Entwicklung als Orientierungsrahmen entwickeln: die Zielarchitektur von Infrastrukturen, Daten- und Anwendungslandschaft.
Wie kann eine solche Umorientierung gelingen? Dazu drei Empfehlungen für IT-Verantwortliche:
- Starten Sie eine Initiative, um die IT in die strategische Unternehmensplanung aktiv einzubinden! Eine Ideallösung wäre beispielsweise die Aufnahme des CIOs in das höchste Vorstandsgremium des Unternehmens.
- Etablieren Sie eine aktive und nachhaltige Kommunikation zwischen IT und den Fachbereichen! Das kann der Aufbau eines firmeninternen Netzwerks sein aber auch die Einführung der Rolle eines IT-Koordinators.
- Achten Sie bei allen Initiativen und Business-IT-Projekten darauf, welcher IT-Wertbeitrag dadurch zu erwarten ist! Wichtig dazu ist das Vorhandensein geeigneter Mess- und Bewertungsinstrumente.
Zurück zur Praxis: Was sind organisatorische, prozessuale bzw. technische Herausforderungen, die Sie in Ihren Projekten immer wieder in den IT-Abteilungen antreffen?
Organisatorisch ist und bleibt das Sicherstellen eines funktionierenden Business IT-Aligments die zentrale Herausforderung. Hier gilt es, geeignete Organisationsformen zu finden, etwa die Einrichtung von Gremien zu bestimmten Themen wie IT-Serviceportfolio oder Business-IT-Projekte.
Die entscheidenden prozessualen Herausforderungen liegen für die IT-Projektleitungen naturgemäß in der Informationsbereitstellung über die Anforderungen, die in den Geschäftsfunktionen (Business Capabilities) und Geschäftsprozessen von den Fachbereichen formuliert werden. Nützlich sind hier vereinbarte und transparente IT-Anforderungsmanagementprozesse.
Technische Herausforderungen ergeben sich vor allem durch den rasanten Wandel der Informations- und Digitalisierungstechnologien. Hier gilt es mittels Trendscouting den rechtzeitigen Einstieg in Innovationsprojekte zu identifizieren.
„Organisatorisch ist und bleibt das Sicherstellen eines funktionierenden Business IT-Aligments die zentrale Herausforderung.“
Kommen wir zur letzten Frage. Welche technologischen Trends sollte ich 2021 als CIO mit Blick auf meine Unternehmens-IT unbedingt auf dem Schirm haben?
Dies pauschal zu beantworten, ist mitunter schwierig und eigentlich unseriös. Warum? Wir werden abhängig vom Anwendungskontext und Größe des Unternehmens hier mehr oder weniger große Unterschiede in der Relevanz haben. Wenn ich mich dennoch festlegen soll, so sehe ich folgende vier Schwerpunkte, an denen eigentlich keine Unternehmens-IT vorbeikommt:
- Multi-Cloud-Management etablieren und Cloud-Transformationen professionell umsetzen: Nachdem die Cloud-Nutzung gerade im letzten Jahr erheblich ausgebaut wurde, ist nun vor allem ein Trend zur Entwicklung von Hybrid- und Multi-Cloud-Modellen/Lösungen vorhanden. Diese ermöglichen es, die Public Cloud mit anderen Public Clouds und Workloads am Standort zu vernetzen.
- Den Weg zum datengetriebenen Unternehmen konsequent beschreiten: Voraussetzungen dazu sind Datenmanagementlösungen, die auf einer zukunftsfähigen Datenarchitektur basierend die Potenziale innovativer Data Analytics – Tools ausschöpfen.
- IT-Integration und Automation von Prozessen mittels geeigneter IT-Plattformen weiter forcieren.
- KI-Technologien umfassend in Anwendungen implementieren: Artificial Intelligence as-a-Service wird unter Stichworten wie Self-Kundenservice umfassende und innovative Lösungen bereitstellen.
Das Interview mit Ernst Tiemeyer führte Christopher Schulz per E-Mail am 09. Februar 2021.
Zur Person Ernst Tiemeyer
Ernst Tiemeyer
Selbständiger IT-Strategist, IT- und Bildungsconsultant, Dozent und Publizist
Ernst Tiemeyer war nach dem Studium der Wirtschaftswissenschaften, Organisation und Informatik zunächst mehrere Jahre als Projektleiter an einem renommierten Institut für angewandte Informatik beschäftigt. Mittlerweile ist er seit mehr als 20 Jahren in leitenden Projektfunktionen sowie als IT-Consultant und Digital Strategist tätig. Darüber hinaus ist er im Managementtraining (z.B. Strategisches IT-Management) sowie als Lehrbeauftragter an zahlreichen Hochschulen im DACH-Raum aktiv sowie Herausgeber und Autor von IT-Management-Handbüchern (im Hanser-Verlag) sowie Autor zahlreicher Fachbücher.
Handbuch IT-Management (von Ernst Tiemeyer)
Konzepte, Methoden, Lösungen und Arbeitshilfen für die Praxis.
7. Aufl. Hanser-Verlag | München 2020 | 1057 Seiten | Extra: E-Book inside | EPub | Print-ISBN: 978-3-446- 46184-0
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